Montag, 23. Mai 2011

Mein erstes Mal

Ganz entgegen meiner zwischenzeitlichen Motivation und dem Empfinden auf einem langen Teilstück des samstägigen Supermarathons, lässt der gewählte Titel nur einen Schluss zu; es war nicht das letzte Mal. Ich habe eine Rechnung aufgemacht, die es zu begleichen gilt ...


Nun, so soll es sein, oder? Einen Erfolg und eine stolze Leistung in der Tasche und gleich die nächste Kampfansage. Warum? Ganz einfach. Weil ich mich zwischendurch so besch... gefühlt habe, dass ich es noch einmal wissen will. Weil ich zeigen will, dass es keine Eintagsfliege war. Und natürlich, weil ich es kann - aus meinem derzeitigen Überschwang heraus.

Dezember 2010. Der verkorkste sub3h - Versuch beim Dresden Marathon liegt weit hinter mir, ist gut verdaut und ich stehe schon wieder voll im Training. Es macht Spaß die Wochenkilometer nur so wegzudrücken. Das Jahr 2011 steht vor der Tür und somit auch die läufersiche Zielplanung. Klar war eine Teilnahme beim Rennsteig, da wir als Verein zahlreich antreten wollten. Ich überlegte eine ganze Weile hin und her, aber mit dem Abstand zum Termin fiel die Entscheidung dann doch noch leicht. 2011 sollte es der Supermarathon werden.

Mein Trainingsplan sah reichlich Wochenkilometer für einen Marathon im Frühjahr vor - so hätte ich eine gute Grundlage um die 72,7 km am Rennsteig zu schaffen. Auch wenn der Plan ein wenig durchgeschüttelt wurde und ich weniger Trainingseinheiten absolvierte, fühlte ich mit fit. Also: Gesagt, getan. Ich wollte ankommen. Die 72,7 km schaffen. Ich hatte einen riesigen Respekt vor dieser Distanz. Eine konkrete Zeit hatte ich mir nicht vorgenommen, wollte nach Gefühl laufen. Unter 7 h wäre super, gar keine Frage. Ich müsste lügen, würde ich sagen nicht doch ein-zwei-mal Kilometerzeiten hochgerechnet bzw. Endzeiten runtergerechnet zu haben. Es spielte aber beim Lauf keine Rolle.

Die Tage zuvor war ich super aufgeregt. Ein Zipperlein im linken Oberschenkel ließ ich mir noch die Woche zuvor schnell per Medi-Taping von Ute versorgen. Auch wenn es nur für den Kopf war.

Am Freitag fuhren wir gegen Mittag los und kamen recht entspannt durch und in unserem Hotel an. Mit dem Verein übernachteten wir an der Strecke des Marathons. Das bedeutete für Ulf und mich, dass wir in aller Früh, oder besser mitten in der Nacht mit dem Bus nach Eisenach fahren mussten. So hieß es bei Zeiten ins Bett gehen und versuchen zu schlafen, was einigermaßen gelang.

Katja fuhr Ulf und mich gegen 2:00 Uhr zum Bus, welcher dann bis ca. 4:40 Uhr nach Eisenach tingelte. Die Zeit versuchten wir mit ein wenig Schlaf zu vertreiben - soweit möglich.

In Eisenach selbst blieb uns noch reichlich Gelegenheit das Dixi aufzusuchen und alle letzten Vorbereitungen zu treffen, sowie den einen oder anderen Bekannten (Steffen, Thomas, Tini&Andi, Rainer) zu begrüßen.

Ab 5:00 Uhr schallt die Musik über den Marktplatz und der Moderator versucht nun auch die letzten Reste von Müdigkeit zu vertreiben. Bald schon brachen die letzten Minuten bis zum Start an ......

Der erste Kilometer gingen vom Markt über den wunderschönen Stadtkern Eisenachs. Das wars dann aber auch schon mit Stadt -eine erste Straße, die auch gleich eine deutliche Sprache sprach: ab jetzt geht es bergauf. Raus aus der Stadt in den Wald, über Wiesen, auf den Rennsteig.

Ich ging es locker an, nach Gefühl. Hatte ich mich erst im Mittelfeld eingeordnet, überholte ich nun immer wieder ein, zwei Läufer. Stück für Stück. Locker, ruhig... aber wie ich später merken durfte .... für den langen Kanten doch noch zu schnell. Bei Km9 traf ich Ulf und überholte langsam. Weiter, immer wieder bergauf, und der Bauch grummelte. Einbildung? ... Bestimmt! ... Also weiter. Bei Km17 musste ich dann doch in den Busch und nachholen was mir vor dem Start nicht gelang. Kann das Auswirkungen haben? Ach was, quatsch... weiter, schön stetig und ruhig zum Inselsberg hoch. Meine Zeitauswertung sagte mir, dass ich km18 bei 01:32:48 durchlief. Ich kann es nur noch einmal sagen, das war zu schnell!

Dann war der Inselsberg geschafft und ich merkte schon die Höhenmeter in den Beinen ... und jetzt kam das für mich unangenehmste Wegstück. Ich lief ein steiles Stück bergab auf geteertem Weg, der zusätzlich hin und wieder mit feuchtem Tannennadeln bedeckt war. Es stauchte ordentlich und machte sich in den Oberschenkeln bemerkbar. Dann passierte es - ich knickte um.. Zack! Eine Schrecksekunde später... Alles in Ordnung! Puh! Mein Puls war jetzt oben.

Km37,5 - die nächste Zeitnahmematte. Die Beine fühlten sich inzwischen schwer an. 03:13:10 - das Tempo war noch immer zu hoch. Ich habe es zwischendrin bewusst nicht kontrolliert undals ich dann anfing Zwischenzeiten zu nehmen, bin ich statt auf die Rundentaste auch auf die Stopp-Taste an meinem Garmin gekommen. Damit war die Laufaufzeichnung dahin. Das merkte ich allerdings erst später.

An den Verpflegungsstellen nutzte ich die Gelegenheit, wenn sie sich bot, und griff zum Schleim. Klasse Sache muss ich sagen. Dazu habe ich abwechselnd Wasser oder später dann Cola getrunken.Die Strecke verlief jetzt recht abwechslungsreich. Es ging bergauf, bergab, geschotterte Wege und auch Wurzelwege. Inzwischen fiel mir jeder Kilometer schwerer und schwerer. Der Oberschenkel muckerte und die Kraft war weg. Der Puls war gefühlt über 160 - ich schnaufte wie ein Walross. Der tatsächliche Puls lag deutlich drunter. Dann grummelte der Bauch wieder ... deuteten sich da Magenkrämpfe an?

.. ich ging... dann lief ich wieder ein paar Meter... dann ging ich wieder... Läufer um Läufer - die Meisten hatte ich mal überholt, liefen nun an mir vorbei. Ich wollte nicht mehr. Also Aufarbeiten. Ist bestimmt alles nur Kopfsache.. zwei Drittel sind geschafft! Nur noch 25km ... laaange Kilometer, in denen mir alles weh tut Nicht das ich mir zu viel abverlange und dann mir eher selbst schade.. wie verkrafte ich das?... ... Ach was.. Du beißt Dir in den Hintern wenn Du das jetzt nicht durchziehst. Lauf!..... Ja, aber das ist doch kein Laufen mehr.. nur noch dahinvegetieren, kriechen, schleichen... bei km55 kannst Du aussteigen ..

Ich war das erste Mal den Tränen nah, vor Verzweiflung. Schimpfte mich ein Weichei, andererseits argumentierte ich mir selbst gegenüber mit Vernunft. Dann dachte ich ... Sch..! wann hat dieses Tief sein Ende, wann kommt der "zweite Frühling".

Dann kam Ulf von hinten. "Heh! Alles ok?" - "Es geht nichts mehr. Bin total platt. War zu schnell. Ich steige bei 55 aus." - Da war es ausgesprochen. Kein zurück mehr und ich wollte es dann auch.

Km54,7. Einen kleinen Hügel hinab. Geradeaus die Verpflegungsstation. Links ein großer Zielbogen. Einsam und verloren - kein Mensch war da zu sehen! Au backe .. wie peinlich, wenn Du da jetzt durch mußt....
Dann brandete eine letzte Welle des Widerstands auf. Reiß Dich zusammen. Die popligen 17 km schaffst Du jetzt auch noch. Renn dem Ulf hinterher und laufe mit ihm zusammen ins Ziel, das wird sooo geil!!! Und wieder hatte ich Pipi in den Augen. Diesmal vor Glück.. vor Überschwang.. ich stellte mir diesen Moment vor... und rannte zur Verpflegung. Schleim, Cola, Wasser über den Kopf - und laufen... Jaaa.. es war wieder laufen. Ich fing wieder an Läufer einzusammeln und schloß die nächsten 3 km zu Ulf auf. Ich wollte in diesem Moment jubeln. Ja, ich wollte aufgeben, aber ich habe den Schweinehund, da hinten bei Km 55, in seinem Selbstmitleid einfach stehen lassen. Er hat es nicht mal gemerkt (der steht sicher immer noch dort).

Da war Ulf und wir liefen zusammen. Ihm tat alles weh, mir auch. Die Puste ging schwer, aber egal. Wir hangelten uns von Kilometer zu Kilometer und von Verpflegungsstelle zu Verpflegungsstelle. Über jeden Anstieg waren wir froh.. weil wir wieder einmal gehen durften. Auch wenn das Anlaufen danach weh tat... nur einen Moment... in Schwung kommen ... und weiter.
Die Schmücke.. der letzte Anstieg, Kilometer um Kilometer näherte sich das Ziel. Schmiedefeld war zu hören.. Verdammt wie weit ist das noch, ich will jetzt da hin. 3km... Gewittergrollen und ein Guss der uns ins Ziel tragen sollte. Die Schuhe quietschten und wir waren durchnässt bis auf die Haut. Überall jetzt Zuschauer in Regencapes und unter Schirmen oder Unterständen die uns zujubelten. Ich war jedem Einzelnen dankbar. Daumen hoch und gleich noch mehr Applaus. Ich musste die Tränen zurück halten. Gleich muss die Zielgerade kommen.. noch eine Ecke, noch eine Kurve.. da? nein da?.. gleich.. Da ist sie .. Der Schritt federleicht das Ziel vor Augen.. Katja und Tina die uns zujubelten ... jeaaaahhhh!!! geschafft!!! So, soo geil!


Gesamtzeit: 06:52:53h
Gesamtplatz: 122
AK-Platz 23 der M35

km18: 01:32:48 / km37,5: 03:13:10 / km54,7: 05:03:17 / km64: 06:05:49

LG
Christian

15 Kommentare:

  1. Toller Bericht. Meine Hochachtung, dass Du am Grenzadler weitergelaufen bist. Dort kippt einem schon mal der Kopf um.
    Leider war ich Zuschauermemme und bin beim Regen ins Festzelt geflohen und habe so Deine Zielankunft verpasst.
    Im nächsten Jahr kennst Du die Strecke. Das ist ein Riesenvorteil für die Krafteinteilung und auch zum Schluss für den Kopf.

    Gute Erholung und bis hoffentlich bald.

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  2. Ein Wahnsinns Bericht + tolle Leistung, können wir gern mal wiederholen und ich hab ein neues Ziel, unter 6:53;-))

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  3. Jungs, ihr habt das großartig gemacht. Ich erinnere mich an meinen ersten Röntgenlauf 2008, da hatte ich auch etwa bei Kilometer 50 die Nase sowas von voll. Aber dann habe ich mir in den Arsch getreten und gesagt: Kommschon, popelige 13 km noch. Zur Not wanderst du die in zwei Stunden.

    Das Gefühl im Ziel ist unbezahlbar.

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  4. Ja, ja, ja, ja, JAAAAAA! *kreisch* Gut, Deine Leiden hättest Du bei meinem Trainingsstand auch nach 20km schon haben können, aber Du wolltest es ja SO haben! Dito: Ich fühle ja sowas von mit Dir! Herzlichen Glückwunsch, Du Rennsau!

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  5. toller bericht, klasse leistung - für 2012 weisst du ja jetzt wie's geht ;-) erhol dich gut

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  6. Gratulation zur Nummer 1. Ich glaube, dieser ist immer der Schönste. Und vielen Dank, dass wir an Deinen Leiden teilhaben durften. Viele reden aber keiner schreibt so nachfühlbar darüber.
    Sicher kommen wir alle mal an den Rennsteig, wenn wir immer fleißig trainieren.
    Das nächste große Ziel ist sicher mental bereits vorhanden? Ich glaube, der Virus hat Dich jetzt gänzlich gepackt? Noch mal. Chapeau.

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  7. Der Bericht ist wirklich unglaublich nachfühlbar geschrieben! Das hat mich sehr an meine 100-km-Wanderung aus dem letzten Jahr erinnert, auch wenn ich es da mit langsameren Geschwindigkeiten zu tun hatte - allerdings bin ich auch fast 20 Stunden unterwegs gewesen.
    Echt fette Leistung wie du dich nochmal aufgerafft hast. Dazu kann man nur eins sagen: Hut ab!

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  8. Sehr sehr schöner Bericht. Ultra bedeutet manchmal Leiden, aber das Gefühl am Ende ist klasse nehme ich mal an (wobei das wohl immer unabhängig ist von der Länge, auch ein HM kann ewig lang sein).

    Jetzt hast Du ja eine Aufgabe fürs nächste Jahr.

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  9. Fantastisch, wie du die emotionale Berg- und Talfahrt beschrieben hast.
    Sicher wird es bei mir am Freitag (100 km - Rund um Jena) ähnlich sein.
    Aber im Ziel (hoffentlich) ist dann alles wieder gut und man plant im Kopf schon die Teilnahme für das nächste Jahr ;). Hört sich verrückt an. Ist es ja auch ;).
    Erhol dich gut.
    VG LF

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  10. Ich verneige mich ganz tief vor dir und deiner Leistung! Allein schon das Ankommen und dann noch in dieser Zeit. Der Bericht noch dazu, da vergisst man alle kleinen Leiden und möchte das am liebsten auch mal machen.
    LG, Andre

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  11. Geil! Nicht nur das Ergebnis, auch der Lauf.

    Ganz ehrlich, der Gedanke des Aufgebens, den kennen vielleicht einige von ihren persönlichen Grenzen. Aber bei so einer langen Kante, da zu stehen und mit der Entscheidung, weiter zu laufen, auf einmal wieder eine solche Kraft und Motivation zu haben - das reißt einen selbst beim Lesen mit.

    Ganz herzlichen Glückwunsch!

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  12. Lieber Christian,
    wann kommt Dein erstes Buch? Ich bin sicher, dass sich sich sehr viele Läufer in Deinen Zeilen wiederfinden! Nachdem ich auch schon ein paar Jährchen laufe, kann ich so gut nachvollziehen, wie Du Dich gefühlt hast. Meinen allergrößten Respekt!!! Das sind die wahren Geschichten für die Enkelkinder. Sich ein Ziel setzen, dran bleiben, immer wieder kämpfen und den Kopf frei machen, dann gelingt fast alles. Fast aufgeben und dann doch durch irgendeine Eingebung beschließen, weiter zu machen. Ich wünsche Dir eine gute Erholung und noch viele solcher Erlebnisse. Und uns wünsche ich noch einige solcher tollen Berichte.
    Axel

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  13. Ich habe hier auch schon über 160 Puls beim Lesen dieses supergeilen Berichts! Echt der Hammer!

    Habe es heute schon in Steffen's Blog geschrieben - welcher "Teufel" reitet einen bloß, wenn man knapp 73km laufen will! ;-) Wahnsinn!

    Glückwunsch zu dieser Leistung!

    Grüße aus Köln!
    Mario

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  14. schöner bericht, gratuliere zum wohlverdienten uns superschönen finish ...
    das bild sagt aber mehr als tausend worte ;)

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  15. Vielen Dank Euch Allen für die lieben Glückwünsche und die Blumen zum Bericht. Habe beim Schreiben den Lauf gleich nochmal durchlebt, freut mich das es euch beim Lesen ebenso ging.

    VG
    Christian

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